Nicht mehr Demokratie wagen, sondern Demokratie stärker und besser gestalten!

Willi Brase gemeinsam mit der Bundesministerin Manuela Schwesig im Unterausschuss Bürgerschaftliches Engagement. ((c) Deutscher Bundestag/Achim Melde)

Willi Brase ist Vorsitzender des Unterausschusses „Bürgerschaftliches Engagement“ im Deutschen Bundestag und führt selbst zahlreiche Ehrenämter aus. Er ist Jurymitglied des Deutschen Engagementpreises 2014.

Was sind die größten Herausforderungen für zukünftiges freiwilliges Engagement in Deutschland?

Als eine der großen Herausforderungen für freiwilliges Engagement sehe ich nach wie vor die Anerkennung, also die Weiterentwicklung einer Anerkennungskultur. Wir müssen überprüfen, ob vor dem Hintergrund des Enquete-Berichts zur „Zukunft des Bürgerschaftlichen Engagements“ von 2002 noch unerledigte engagementpolitische Aufgaben gerade in Hinsicht der Sichtbarkeit des Engagements auf uns warten.

Wie wirkt sich das konkret auf Ihre Arbeit im Unterausschuss aus? Haben Sie da bestimmte Ziele, die Sie sich gesteckt haben?

Zurzeit machen wir uns Gedanken über die Durchsetzung und Umsetzung eines polizeilichen Führungszeugnisses bei der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen, vor dem Hintergrund der vor Jahrzehnten stattgefundenen sexuellen Übergriffe an Kindern. Und wir werden über Anerkennungskultur reden und dann überlegen, welche Strategie wir als Ausschuss sehen, um in dieser Sache voran zu kommen.

Könnten Sie für unsere Leser in wenigen Sätzen zusammenfassen, was die Aufgaben des Unterausschusses für „Bürgerschaftliches Engagement“ sind?

Der Unterausschuss „Bürgerschaftliches Engagement“ ist gegründet worden vor dem Hintergrund der Ergebnisse der Enquete-Kommission zum bürgerschaftlichen Engagement. Er ist ein Beratungsgremium und gehört zum Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend des Deutschen Bundestages. Er berät, untersucht, macht Anfragen, aber ist kein Entscheidungsgremium. Das wiederum macht der genannte Hauptausschuss. Was sollte Ihrer Meinung nach passieren, damit möglichst viele Menschen sich an Bürgerprozessen beteiligen. Wie kann freiwilliges Engagement langfristig gebunden werden, sowie das Interesse der Menschen daran? Also bürgerschaftliches Engagement lebt von Freiwilligkeit. Man kann und soll niemanden zwingen. Sondern man muss es attraktiv machen. Bürgerschaftliches Engagement braucht Unterstützung durch beispielsweise Ehrenamtsagenturen, durch Hauptamt usw. Wir haben sehr viele Bereiche, in denen Menschen aktiv sind, und die brauchen hin und wieder Unterstützung. Dabei geht es nicht um Geld für die Tätigkeit. Sondern darum, dass die Bedingungen sich zu engagieren, die Gesellschaft mitzugestalten, die Gesellschaft weiter zu entwickeln, dass die stimmen. Das halte ich für ganz wichtig und wesentlich.

Und welche Rolle spielt dabei eine öffentliche Anerkennung des freiwilligen Einsatzes?

Es ist schon sehr wichtig, dass man dieses Engagement anerkennt. Das kann im Fall von Studenten sein, dass sie Bonuspunkte kriegen, indem beispielsweise ein Arbeitgeber sagt, wenn ein junger Mensch sich engagiert, dass er denjenigen dann möglicherweise etwas lieber einstellt als jemanden, der sich nicht engagiert. Es sollte auch so sein, dass man öffentlich mit politischer und gesellschaftlicher Prominenz Leute bewusst auszeichnet. Ihr Wirken würdigt, darstellt, wie gut und wie wichtig es ist. Und zwar immer verbunden mit dem Ziel, dass es keine Einzigartigkeit bleibt, sondern dass andere auch zum freiwilligen Engagement ermuntert werden. Deshalb finde ich, dienen Preise dazu zu zeigen, dass freiwilliges Wirken in der Gesellschaft einen Wert hat.

Sind Sie selbst engagiert? Was waren Ihre ersten Begegnungen mit freiwilligem Engagement?

Ich komme aus der verbandlichen Jugendarbeit, aus der gewerkschaftlichen Arbeit und bin dann später Hauptamtler geworden. Die entscheidenden Grundlagen dafür sind gelegt worden, als ich bei meinen Eltern in einem Dorf gelebt habe und wir als junge Leute die Nase voll hatten, jeden Abend in die Dorfkneipe zu gehen und zu kniffeln, zu knobeln, Skat zu spielen und ein paar Bier zu trinken, und wir angefangen haben, unsere Freizeit zu organisieren. Soweit gehend, dass wir ein kleines Haus angemietet haben und dort unser eigenes kleines Jugendzentrum organisiert haben. Das waren die ersten Erfahrungen damit, etwas selber zu machen. Nicht außerhalb, sondern mitten im Dorf, mitten im Geschehen, mitten in der Gesellschaft. So habe ich mitgearbeitet in der Jugendzentrumsbewegung. Ich bin ein Stück weit auch groß geworden mit den Auseinandersetzungen der Friedensbewegung und Antiatomkraftbewegung. Dadurch, dass ich mich auch der verbandlichen Arbeit sehr stark zugehörig gefühlt habe, bin ich dort irgendwann auch hauptamtlich gelandet. Heute bin ich zudem ein Förderer der ambulanten Hospiz-Hilfe in meinem Heimatort, wo wir Menschen in sehr schwierigen Lebenslagen unterstützen.

Was sind wichtige Aufgaben zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für freiwilliges Engagement?

Wir diskutieren im Unterausschuss über die Rahmenbedingung eines polizeilichen Führungszeugnisses. Zur Zeit beschäftigen wir uns mit Stellungnahmen unterschiedlicher Organisationen zu diesem Thema, um zu klären, was an der einen oder anderen Stelle zu verändern ist, welche Einsichtnahmen dürfen gemacht werden, wie ist das Verfahren, was passiert einem ehrenamtlichen Leiter einer kleinen Jugendgruppe, wenn der auf einmal erfährt, dass bei der Betreuung von Jugendlichen zwischen 10 und 15 Jahren ein polizeiliches Führungszeugnis benötigt wird? Zu diesen Fragen haben wir einen ersten Aufschlag gemacht und erste Diskussionen geführt. Jetzt wollen wir, dass es zu einer politischen Debatte darüber kommt. Weitere wichtige Fragen hinsichtlich von Rahmenbedingungen sind die Umsatzsteuer und die Unfallversicherung. Das sind ganz wichtige Punkte, bei denen ich finde, dass die vereinfacht und schneller geregelt werden müssen. Da ist die Bundes- und Landespolitik gefragt – die beispielsweise sagen: „Leute macht freiwilligen Feuerwehrdienst, weil es gut und wichtig ist. Weil es Euch und uns was bringt.“ Nur: dann müssen eben auch die Bedingungen stimmen. Dass heißt, wenn ich in einem Einsatz beispielsweise verletzt werde, kann nicht erst einmal wochenlang von der Versicherung geprüft werden, ob es nicht möglicherweise eine Vorverletzung gab und es darum kein Geld gibt. Das geht nicht. Welchen Stellenwert haben Ihrer Meinung nach Kooperationen zwischen Politik, Zivilgesellschaft und dem Wirtschaftssektor? Ich finde es sehr bemerkenswert, dass auch die Wirtschaft sich in Teilbereichen intensiver einschaltet und dadurch neue Kooperationen entstehen. Zwischen den einzelnen Initiativen und Verbänden finden ja längst Kooperationen statt. Dies ist notwendig und wichtig und muss weiter vorangetrieben werden. Die größte Kooperation ist aber eigentlich, wenn mehr Menschen sagen: „Für mich ist bürgerschaftliches Engagement ein Teil demokratisch gelebter Kultur.“ Dieser Weg ist noch sehr lang. Ziel ist, dass die Gesellschaft weitere praktische Chancen für Mitgestaltung bietet, im Sinne einer aktiv belebenden gesellschaftlichen Entwicklung. Dies würde ich als eine positive Kooperation bezeichnen, wenn noch mehr Menschen für freiwilliges Engagement gewonnen werden könnten. Allerdings nicht als Lückenbüßer, sondern einfach aus der Motivation: Ich habe etwas Zeit, ich will mitgestalten, ich helfe meinem Nachbarn, ich setze mich für bessere Lebensbedingungen in einer anderen Ecke der Welt ein, oder wie auch immer. Aber immer gestalte ich damit Leben. Das heißt: Nicht mehr Demokratie wagen, sondern Demokratie stärken und besser gestalten!

Die Fragen stellte Mira Nagel, Projektleiterin Deutscher Engagementpreis